Es ist erschreckend, was manche Frauen sich heutzutage für frustrierende, absolut nicht hilfreiche und meist auch unverschämte Dinge bei einem Arztbesuch anhören müssen. Sobald man dem Gynäkologen des Vertrauens verkündet, dass man nicht mehr hormonell verhüten möchte, wird er in Sekunden vom Freund zum Feind!

 

Deshalb möchte ich in meinem heutigen Beitrag an alle Gynäkologen und ihre Empathie (falls vorhanden) appellieren.

Liebe Gynäkologinnen, liebe Gynäkologen und an alle, die es noch werden wollen,

ich möchte mich heute im Namen vieler Frauen an Sie wenden. Denn ehrlich gesagt verstehe ich nicht so recht, was sich offensichtlich ein Großteil von Ihnen in den letzten Jahren beim Umgang mit den Patientinnen gedacht hat. Es kann wirklich nicht sein, dass Frauen allen Alters nur noch ungern zum Gynäkologen gehen, sogar regelrecht Angst vor den Terminen haben, sich schlecht beraten und sogar unschön behandelt fühlen.

Es werden immer mehr Frauen, die von wirklich schlimmen Terminen und Erfahrungen berichten, und ich frage mich ernsthaft, ob Ihnen allen die Empathie abhanden gekommen ist. Es wird einfach Zeit, daran etwas zu ändern!

Eigentlich lässt sich die ganze Problematik auf ein Thema herunter brechen: Die Antibabypille bzw. die hormonelle Verhütung.

Ja, aktuell scheint es einen regelrechten Umbruch zu geben. Viele Frauen möchten nicht mehr hormonell verhüten. Das mag zum einen daran liegen, dass es in den letzten Jahren viele negative Schlagzeilen bzgl. Thrombosen, Schlaganfällen und Lungenembolien gab. Zum anderen liegt das aber sicherlich auch daran, dass nicht jede Frau ihr Leben lang synthetische Hormone zu sich nehmen möchte. Das ganze Bewusstsein rund um Gesundheit, Ernährung und Fitness erlebt gerade eine sehr positive Veränderung. Ich persönlich finde das ganz großartig.

Ich weiß, gerade Kassenärzte haben es nicht einfach…

Mir ist absolut bewusst, dass Pillen-Patientinnen für Sie einige Vorteile mit sich bringen. Auch weiß ich, dass Sie weder viel Zeit, noch viel Budget haben. Ich habe mich in den vergangenen Monaten und Jahren wirklich mit vielen Ärzten über diese Thematik unterhalten und bin mir vollkommen im Klaren darüber, dass diese neue Anti-Pillen-Bewegung Sie vor einige Herausforderungen stellt.

Mir ist bekannt, dass in Ihrem langen, anstrengenden, kostspieligen und intensiven Medizinstudium nicht viel über natürliche Verhütungsmethoden gesprochen wird. Eine der Ärztinnen, mit denen ich mich lange unterhalten habe, erzählte mir sogar, dass während ihres Studiums nur die Temperaturmethode und die Kalendermethode besprochen wurde. Klar, dass beides für keine sichere Verhütung darstellt. Das sind aber auch nicht die gängigen Methoden!

Natürlich werden auch alle möglichen Nebenwirkungen der hormonellen Verhütung inbesondere der oralen Kontrazeptiva nur ganz kurz besprochen, da diese ja sowieso so gut wie nie auftreten. Die netten Pharmareferenten erzählen ja auch immer, dass nur so viele mögliche Nebenwirkungen auf dem Beipackzettel stehen, um sich rechtlich abzusichern und nicht, weil diese wirklich auftreten können.

…das weiß ich alles, aber:

Sie mögen alle super begeistert von der Pille und allen anderen Varianten der hormonellen Verhütung sein. Von mir aus können Sie sie auch selbst verwenden, ein Loblied darauf singen und natürlich Patientinnen verschreiben, die sie nehmen möchten und gerne auch Ihren Familien und Freunden. Sie müssen auch nicht zwangsläufig ein Fan von hormonfreier oder natürlicher Verhütung sein. Ehrlich gesagt, müssen Sie sich damit nicht mal auskennen, wenn es Sie nicht interessiert. Niemand zwingt Sie dazu, in Ihrer Praxis eine NFP-Beratung anzubieten, die verschiedenen Kupferspiralen zu setzen oder ein Diaphragma anzupassen. Das müssen Sie nicht.

 

Aber hören Sie doch bitte damit auf, Patientinnen, die die Pille absetzen möchten, wie Aussätzige zu behandeln!

Lassen Sie doch bitte Ihre Patientinnen selbst entscheiden, wie sie gerne verhüten möchten. Hören Sie auf, ihnen zu erzählen, dass es außer hormonellen Verhütungsmethoden nicht möglich wäre, sicher eine Schwangerschaft zu vermeiden.

Fangen Sie doch bitte damit an, Ihre Patientinnen und deren Beschwerden ernst zu nehmen! Auch wenn Sie der Meinung sind, die Pille könne nicht  an den Symptomen Ihrer Patientin Schuld sein und das, obwohl die meisten durchaus auf dem Beipackzettel stehen. Lassen Sie ihr doch bitte die Freiheit, es zu versuchen! Außerdem sollten Sie sich ganz dringend einmal Gedanken darüber machen, ob es unbedingt notwendig ist, Ihre Patientinnen als Hypochonder oder psychisch labil abzustempeln.

Wäre es denn nicht besser, auf Ihre Patientinnen einzugehen, sie ernst zu nehmen und das Beste für sie zu wollen?

Sie sind Ärzte! Sie haben einen hippokratischen Eid geleistet. Und Ihre Aufgabe ist es, Menschen zu helfen! Wie kann es denn nur hilfreich sein, einer Patientin, die während der Einnahme der Pille plötzlich unter Panikattacken oder Depressionen leidet, ein Antidepressivum zu verschreiben, anstatt einfach erstmal zu schauen, ob es nicht vielleicht doch an der Pille liegt? Warum lassen Sie es denn nur zu, dass diese Frauen gleich zwei Medikamente schlucken müssen?

Nur weil Sie nicht an Nebenwirkungen glauben, gibt es sie einfach nicht? Finden Sie das nicht ein bisschen unfair? Diese Frauen verlassen sich auf Sie, vertrauen Ihnen und haben Respekt vor Ihnen und Ihrer Expertise. Nutzen Sie das bitte nicht aus. Fangen Sie endlich an, Ihre Patientinnen genau so zu respektieren, wie sie es umgekehrt tun und nehmen Sie ihre Probleme ernst!

Kein Wunder, dass die Zahlen der Abtreibungen steigen…

Eines der häufigsten Argumente gegen das Absetzen der Pille, über das ich in der letzten Zeit wirklich häufig gestolpert bin, ist, dass durch das vermehrte Absetzen auch die Abtreibungszahlen steigen. Ja, das mag sein. Das liegt aber nicht am Absetzen, sondern daran, dass die Frauen danach allein gelassen werden!

Wenn Sie, die Gynäkologen, also die ersten Ansprechpartner zum Thema Verhütung, schon nicht im Stande sind, Ihren Patientinnen bei der Frage nach natürlichen oder hormonfreien Alternativen weiterzuhelfen, wo sollen diese denn hin? Was bleibt, sind eine ganze Menge Frauen, die unter keinen Umständen zurück zur Pille wollen, aber nicht wissen, was sie stattdessen machen sollen. In ihrer Überforderung führt das sehr häufig dazu, dass sie vorerst gar nicht richtig verhüten, sich Diaphragmen auf gut Glück kaufen oder die natürliche Verhütung komplett falsch angehen. Ungeplante Schwangerschaften sind dann an der Tagesordnung.

Sollten Sie also keine Beratung anbieten wollen, dann schicken Sie Ihre Patientinnen doch wenigstens zu ProFamilia oder zu einem Gynäkologen, der sich damit auskennt!

So wie die Situation aktuell ist, kann sie auf jeden Fall nicht bleiben. Die Zeiten ändern sich. Der Umbruch ist da und ich bin mir sicher, dass immer mehr Frauen auf eine natürliche und hormonfreie Verhütung wechseln werden. Sie sollten sich langsam damit arrangieren und sich ernsthaft Gedanken darüber machen! Es findet eine Entwicklung statt, mit Ihnen oder ohne Sie. Ich persönlich würde mich sehr darüber freuen, wenn Sie ein Teil davon werden und endlich beginnen, Ihre Patientinnen so zu unterstützen, wie sie es benötigen.

Mit hoffnungsvollen Grüßen
I. Morelli

P.S.: Natürlich kann man nicht den gesamten Berufsstand über einen Kamm scheren und das möchte ich auch gar nicht. Es gibt durchaus einige tolle Ausnahmen und klare Vorreiter.

Liebe Gynäkologen/innen, wir müssen reden! 1
Über die Autorin dieses Artikels

Isabel ist Gründerin von Generation Pille und Autorin der Bücher „ByeBye Pille“ und „Kleine Pille, große Folgen„. Ziel der Seite und jedem einzelnen Beitrag ist es, Frauen zu helfen, ihren Körper besser zu verstehen, Symptome zu deuten und sowohl körperliche als auch hormonelle Zusammenhänge zu begreifen. Der Fokus ihrer Beiträge liegt hierbei ganz klar auf den Themengebieten Frauengesundheit, Hormone, hormonelle Beschwerden und natürliche Verhütung.