Viele Frauen sind wütend auf ihre Gynäkologen. Gerade die, die jahrelang mit den gleichen Symptomen zum Arzt ihres Vertrauens gegangen sind und sich immer wieder anhören mussten: „Das kann nicht von der Pille kommen!“. Wenn sie dann nach dem Absetzen festgestellt haben, dass es doch an der hormonellen Verhütung lag, ist die Wut berechtigterweise groß.

Es erscheint ein großes Fragezeichen im Kopf. Wieso hat er mir trotz meiner Symptome immer weiter die Pille verschrieben? Wieso hat er meine Probleme ignoriert? Warum wurde der Zusammenhang geleugnet? Für viele Frauen ist die einzige logische Antwort auf diese Fragen: Der Arzt verdient viel Geld mit dem Verschreiben der Pille! Warum sonst sollte er so gehandelt haben?

Aber stimmt das wirklich? Gibt es eine Art Provision für jede Verschreibung? Die Antwort ist nein!

Versteht mich nicht falsch, ich möchte in diesem Artikel nicht die gesamte Ärzteschaft in Schutz nehmen. Aber ich finde, wir sollten bei der Wahrheit bleiben. In der Tat finde ich die fehlende Kommunikation und Aufklärung der meisten Ärzte grausam, um nicht zu sagen grenzwertig. Schockierenderweise bestätigt dies auch eine Untersuchung der Verbraucherzentrale Hamburg in Zusammenarbeit mit dem ZDF-Magazin Frontal21. Das erschreckende Ergebnis:

Viele Gynäkologen klären nur unzureichend über Verhütungsmethoden auf. Sie verharmlosen Risiken, verschweigen ungefährliche Alternativen und geben Werbebroschüren der Pharmaindustrie als Aufklärungsmaterial weiter.“

„Drei Viertel der Frauenärzte schnitten demnach mit den Noten vier (ausreichend) und fünf (mangelhaft) ab.“

Hier geht es zur gesamten Reportage  

Natürlich kommt da schnell die Frage auf, was diese Ärzte eigentlich davon haben, jedem einfach die Pille zu verschreiben. Klar ist auch, dass viele Patientinnen sich diese Frage einfach selbst beantworten. So kam auch das hartnäckige Gerücht zustande, dass sich nun schon seit einiger Zeit hält und immer weiter verbreitet: Die Ärzte verdienen Geld mit der Pille!

Diese Annahme lässt sich nicht ganz so einfach pauschal bestätigen. Wenn man so eine Unterstellung ausspricht, geht man im ersten Moment davon aus, dass der Arzt für jedes verordnete Rezept eine Art Provision bekommt. Dem ist nicht so!

Warum wird die Pille so schnell verschrieben?

Pillen-Patientinnen sind die einfachsten Patientinnen! Das beantwortet zumindest, warum die Antibabypille heute als Wundermittel für so gut wie alle weiblichen Beschwerden verschrieben wird. Egal welche Probleme eine junge Frau belasten, sobald sie hormonell bedingt sind, ist die Pille die schnellste Lösung. Das gilt beispielsweise für unregelmäßige Zyklen, Haarausfall, Akne, stark schmerzende Periode oder Brustspannen. Doch warum ist das so?

Um diese Frage zu beantworten, muss ich vorab kurz erklären, wie niedergelassene Ärzte überhaupt ihr Geld verdienen. Schließlich bekommen sie ja nicht einfach ein Gehalt oder rechnen ihre Leistungen direkt mit den Patienten ab. Nein, es ist ein bisschen komplizierter.

Wie verdienen Ärzte eigentlich ihr Geld?

In Deutschland gibt es 17 Kassenärztliche Vereinigungen (KV) entsprechend den Bundesländern (Nordrhein-Westphalen hat allerdings 2). Die Krankenkassen zahlen pro Versicherten einen Pauschalbetrag an die Kassenärztliche Vereinigung.

Jeder Arzt, der Kassenpatienten behandeln möchte, ist Vertragspartner der KV und rechnet somit auch mit dieser ab. Die KV stellt jedem Arzt einen pauschalen Betrag pro Patient pro Quartal zur Verfügung, und zwar völlig egal, ob dieser einmal in die Praxis kommt oder 50 mal.

Ich spreche hier nicht von dreistelligen Beträgen, sondern von nicht wirklich hohen zweistelligen. Diese Beträge können sich jährlich ändern und sind je nach Bundesland und KV verschieden. Gelesen habe ich schon von Beträgen zwischen 23 und 40 €. Es sind also keine Unsummen. Rechnen wir der Einfachheit halber mal mit einem fiktiven Betrag von 30 € pro Quartal, dann bekommt der Arzt im Jahr pro Patient ein Budget von 120 €.

Mit dem erhaltenen Budget muss der Mediziner alle Leistungen, also Untersuchungen, Laborleistungen usw., decken. Denkt man beispielsweise mal darüber nach, welche Laborkosten ein Hormonstatus verursacht, wird einem schnell bewusst, dass der Arzt das gar nicht bei jedem Patient leisten kann. Überschreitet er sein Budget, zahlt er drauf.

Das, was dem Arzt pro Quartal (nach Abzug der Kosten für seine Praxis und Mitarbeiter) übrig bleibt – also sein „Gehalt“ -, ist vereinfacht ausgedrückt das, was er von dem Gesamtbudget der KV nicht ausgegeben hat. Je mehr Patienten mit wenig Kosten er also hat, desto mehr verdient er.

Pillen-Patientinnen sind gute Patientinnen! Sie kosten kein Geld.

Wir wissen jetzt: Unabhängig davon, wie oft ein Patient seinen Arzt aufsucht, erhält dieser nicht mehr als den von der KV festgelegten Betrag. Das heißt: Um darüber hinausgehende Leistungen erbringen zu können, muss der Arzt auf das Budget anderer Patienten zurückgreifen, deren Behandlung weniger aufwändig und dadurch „günstiger“ ist, will er nicht selbst für das „Mehr“ an Behandlungskosten aufkommen.

Die Pille zu verschreiben geht schnell und verursacht keine Kosten in Sachen Labor, Überweisungen und weiteren Untersuchungen.

Also werden junge Frauen, die „nichts Ernstes“ haben, mittels der Pille schnell „abgefertigt“, damit für Frauen, die z.B. Endometriose oder andere ernste Krankheiten haben, genug Budget übrig bleibt.

Natürlich macht das jetzt nicht die fehlende Aufklärung über die Risiken und Nebenwirkungen der Pille wieder wett, aber ich finde, man sollte auch die schwierige Situation der Mediziner betrachten. Sicherlich ist es für sie auch keine einfache Situation, nicht jedem Patienten die Versorgung und Aufmerksamkeit geben zu können, die sie ihm eigentlich gerne geben würden. Auch Ärzte haben Budgets, Vorgaben und Richtlinien, die ihnen manchmal das Leben schwer machen.

Die dunkle Seite der Macht

Dass viele Ärzte allerdings zusätzliche Einnahmequellen nutzen – Stichwort Pharmaindustrie -, ist allseits bekannt und soll hier auch nicht verschwiegen werden. Es gibt für Ärzte einige Mittel und Wege, ihr „Taschengeld“ ein bisschen aufzubessern.

Ende Juni 2016 legten 54 Pharmakonzerne erstmals offen, wie viel Geld sie an Ärzte in Deutschland zahlen. Zu diesen möglichen Nebenverdiensten gehören zum Beispiel Honorare für Vorträge, Beratungen, Fortbildungsveranstaltungen, Spesen und die Teilnahme an äußerst umstrittenen Anwendungsbeobachtungen.

Bei dem Stichwort Anwendungsbeobachtungen kommt jetzt auch wieder die Pille ins Spiel!

Zweck dieser Beobachtungen soll die Verbesserung der Medikamente sein, indem man bei möglichst vielen Patientinnen die Verträglichkeit über einen gewissen Zeitraum beobachtet und dem Hersteller anschließend Fragen zu Nebenwirkungen und Co. beantwortet.

Für diese Anwendungsbeobachtungen erhält der Arzt einen pauschalen Betrag pro Patient. Wie gesagt, das ist der offizielle Zweck. Nach Ansicht von Kritikern dienen Anwendungsbeobachtungen jedoch allein dazu, dass Ärzte ein bestimmtes Medikament bevorzugt verschreiben und kritisieren diese „legale Korruption“, Politiker fordern sogar ein Verbot.

Mittlerweile gibt es eine großartige Datenbank auf der Seite Correctiv, auf der man sich anschauen kann, welche Medikamente Teil einer solchen Anwendungsbeobachtung sind. Diese habe ich genutzt, um die Top 40 der meist verschriebenen Pillenpräparate zu prüfen und siehe da: Insgesamt 6 verschiedene Präparate wurden in der Datenbank gefunden: Bellissima, Minisiston, Petibelle, Valette, Zoely, Lilia.

Das bedeutet: Es gibt in Deutschland definitiv Ärzte, die Anwendungsbeobachtungen für diese Antibabypillen durchführen und dafür Geld vom jeweiligen Pharmakonzern bekommen.

Wie viele Anwendungsbeobachtungen pro Präparat gemacht werden, wie viele Ärzte und Patienten das betrifft  und wie hoch das Honorar für die Ärzte ausfällt, ist nicht immer offen gelegt. Bei den erwähnten 6 Antibabypillen liegt das Honorar für die Anwendungsbeobachtung zwischen 25 und 120 Euro pro Patient. Inwieweit diese Einnahmequelle das Verschreibungsverhalten der Frauenärzte beeinflusst, kann man nur vermuten. Frauenärzte können also durchaus durch die Pille Geld verdienen, jedoch betrifft dies weder alle Gynäkologen, noch alle Pillenpräparate.

Hier kannst du auf Correctiv nach deinem Medikament suchen!

Vor kurzem kam noch ein weiteres Problem unseres Gesundheitssystems ans Licht. Erstmals wurde öffentlich darüber gesprochen, dass Diagnosen frisiert werden. Um den Rahmen dieses Artikels jetzt nicht vollständig zu sprengen, verlinke ich an dieser Stelle den tollen Beitrag von 3sat, in dem diese Thematik mit dem Chef der Techniker Krankenkasse – Dr. Jens Baas – ausgiebig besprochen wurde.

Schau‘ dir den Beitrag an! KLICK